BVerfG in Karlruhe

Das jüngste Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Klima- und Transformations-Fonds und zum zweiten Nachtragshaushalt 2021 war absehbar, auch oder gerade weil es sich um die erste Entscheidung des Verfassungsgerichts zum Thema Schuldenbremse handelt.

Man musste kein Verfassungsrechtler sein um zu sehen, dass ein dreifacher Verstoß gegen vergleichsweise einfache Regeln des Grundgesetzes – von denen jeder für sich genommen schon das nun ergangene Urteil gerechtfertigt hätte – dem BVerfG keine andere Wahl ließ, als den KTF rückwirkend zu stutzen.

Art. 109, 110 und 115 GG regeln schließlich unmissverständlich, dass die Schuldenbremse nur wenige Ausnahmen zulässt, der Etat nach dem Jährlichkeitsgrundsatz aufzustellen ist, dass Haushaltsmittel zweckgebunden sind, und dass die Budgethoheit beim Parlament liegt.

Um es noch einfacher zu sagen: Eine Bremse, die nur manchmal bremst, ist keine. Heute Schulden aufzunehmen, um das Geld für übermorgen zurückzulegen, geht nicht und den Mitteln rückwirkend nach Belieben neue Etiketten zu verpassen, auch nicht. Eigentlich gar nicht so schwer.

Es hätte allen Beteiligten bewusst sein können, ja müssen, dass das BVerfG nicht nur die Haushaltshoheit des Parlaments als hohes Gut erachtet, sondern auch sämtliche Versuche, die betreffenden Regelungen des Grundgesetzes zu umgehen, äußerst kritisch sehen würde. Und der billige Taschenspielertrick, unter Ausnahmebedingungen kreditfinanzierte Haushaltsposten nachträglich umzuwidmen, um sie zukünftig für etwas anderes ausgeben zu können, war von Anfang an als solcher durchschaubar. Insoweit ist das jetzige allgemeine Lamento kaum nachvollziehbar.

Man musste auch kein Prophet sein um zu ahnen, dass nur Stunden nach dem Urteil von den üblichen Verdächtigen reflexartig Forderungen nach Steuererhöhungen laut werden würden.

Zumindest eine Partei in der Ampelkoalition hatte das seit den Koalitionsverhandlungen ebenso grundsätzlich wie rigoros ausgeschlossen, weil das ihren Wählern nicht zu vermitteln gewesen wäre. Die anderen beiden wollten ihrerseits jedoch auch ihre jeweiligen Klientel bedienen und bei Sozial- und Klimaprojekten klotzen, statt zu kleckern. Der Finanzminister der Vorgängerregierung, Olaf Scholz, suchte also händeringend nach einer Möglichkeit, alle zufrieden zu stellen, um so ins Kanzleramt einzuziehen zu können und kreierte zusammen mit seinem Staatssekretär die nun höchstrichterlich verworfene Idee, mit gesparten Corona-Mitteln den KTF zu pimpen.

Die große Frage ist, was Deutschland nun also anfängt mit dessen Marginalisierung als Folge seines Lochs von 60 Milliarden Euro? Eine Lücke ausgerechnet dort, wo er maßgeblich dabei helfen sollte, die Zukunft zu sichern, und Deutschland als weltweiter Vorreiter beim Klimaschutz zu etablieren.

Möglichkeit eins, Steuererhöhungen, scheidet aus nahe liegenden Gründen aus. Nicht nur, dass sie wider die Vernunft wären – auch wenn das bei dieser Regierung immer weniger bedeuten mag – denn Deutschland hat bereits jetzt eine der höchsten Steuer- und Abgabenlasten aller Industrieländer. Diese, gleich für welchen Zweck, immer weiter zu erhöhen, ist den Steuerzahlern weder zu vermitteln, noch zuzumuten und würde überdies das zarte Pflänzchen Wachstum, das für die nächsten Jahre so sehnlich erhofft wird, unweigerlich austrocknen.

Möglichkeit zwei, die Schuldenbremse selbst zu kassieren, weil sie nicht mehr zeitgemäß ist. Davon abgesehen, dass die dafür notwendige Zweidrittelmehrheit im Parlament nicht in Sicht ist, stellt sich die Frage, ob das wirklich die Lösung sein könnte in einer Zeit, in der so viel von Zukunft und Nachhaltigkeit die Rede ist. Krise ist praktisch immer und Geld wird auch immer gebraucht. Also demnächst wieder Schulden machen auf Teufel komm’ raus? Deren Tilgung müssen allerdings dann die in der glücklichen Zukunft Arbeitenden auch gleich übernehmen und mit dem Großteil ihrer Einkünfte die von uns hinterlassenen Altlasten beiseite schaffen.

Bleibt die unpopuläre Möglichkeit drei: zu sparen. Und bei der Gelegenheit darüber nachzudenken, was der Staat überhaupt leisten soll und kann und was nicht. Das ist unbequem, denn jemandem etwas nicht zu geben, ist fast so schlimm, wie ihm etwas wegzunehmen. Aber letztlich wird kein Weg daran vorbei führen, so schmerzlich das auch für manche sein mag. Dabei darf es keine heiligen Kühe geben. 

Nicht den Klimaschutz selbst, der hierzulande unter dem Vorwand der Dringlichkeit bisher unüberlegt und überhastet bewerkstelligt wird. Wir werden in Deutschland das Weltklima nicht retten, dazu fehlt uns angesichts unseres Zwei-Prozent-Anteils an den weltweiten Treibhausgasen schlicht der Hebel. Etwas langsamer, geringer subventioniert und weniger schmerzlich für Wirtschaft und Verbraucher ist vielleicht sogar mehr zu erreichen, nicht zuletzt auch, die Mehrheit dabei mitzunehmen. 

Auch nicht die Sozialausgaben, die mit über dreißig Prozent des Etats bei zunehmender Tendenz so hoch sind, wie in kaum einem entwickelten Land. Die Idee vom Staat als Wohlfahrtsorganisation, der sich seine Akzeptanz durch immer mehr Geld ohne Gegenleistung für immer mehr Zuwendungsempfänger ohne wirklichen Bedarf zu erkaufen sucht, ist offensichtlich nicht erst mit dem KTF gescheitert.

Vielleicht sollte sich der Staat auf seine Kernaufgaben zurück besinnen: Die Rahmenbedingung für ein gesundes Wachstum zu schaffen, damit er das ausgeben kann, was er vorher über Steuern eingenommen hat. Steuern, die nicht so hoch sind, dass sie denen, die ihren Staat finanzieren, nur noch den kleineren Teil ihres Verdienstes belassen. Zu diesen Rahmenbedingungen gehören eine moderne technische und digitale Infrastruktur, eine funktionierende, schlanke Verwaltung, die sich als Dienstleister für Bürger und Wirtschaft versteht und nicht zuletzt die umfassende Sorge für deren Sicherheit, sowohl nach innen als auch nach außen. 

Damit hätte der Staat vollauf genug zu tun, vor allem, wenn er diese Aufgaben endlich ernst nehmen würde. Niemand behauptet, es wäre leicht. Aber es wäre immerhin ein Anfang.