Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD)

Die Ampelregierung präsentiert ihr jüngstes Gesetzespaket unter der Überschrift „Rentenniveau sichern“. Doch was ebenso harmlos wie positiv klingt, ist nichts weniger als ein Paradigmenwechsel in der Rentenpolitik. Bisher war der Gesetzgeber immer bemüht, im demographischen Wandel einen Lastenausgleich zwischen den Generationen sicherzustellen.

Zu diesem Zweck wurde seit fast 30 Jahren bei der Berechnung der jährlichen Rentener­höhungen ein sogenannter Demographie- oder Nachhaltigkeitsfaktor einbezogen. Dieser Faktor hatte zur Folge, dass die Renten etwas weniger stark stiegen als die Löhne, wenn es mehr Rentner und weniger Arbeitnehmer gab, was wiederum dazu geführt hätte, dass die Jüngeren als Beitragszahler ohne eigene Rentenerhöhung steigende Beitragslasten hätten tragen müssen. Der Nachhaltigkeitsfaktor hat dies bisher verhindert, weil seine Korrekturwirkung unter diesen Bedingungen zu einem etwas langsameren Anstieg der Renten im Vergleich zu Löhnen und Gehältern geführt hat.

Die Abschaffung deses Mechanismus ist der eigentliche Kern des Gesetzes, das Arbeits- und Sozialminister Hubertus Heil (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) gerade auf den Weg gebracht haben. Allerdings fehlt Heil offenbar der Mut, das auch so klar zu sagen, denn er zog es vor, die Wirkung des Gesetzes mit einer Reihe irreführender Äußerungen zu verschleiert. In seiner Rede vor dem Deutschen Bundestag hat er zum Beispiel so getan, als drohe ohne dieses Gesetz eine Rentenkürzung, was schon deshalb objektiv falsch ist, weil Rentenkürzungen bereits heute nicht erlaubt sind.

Außerdem argumentiert Heil, ohne sein Gesetz würden die Renten von den Löhnen entkoppelt, was ebenso falsch ist. Das Gegenteil ist der Fall. Die Kopplung des Nachhaltigkeitsfaktors, um dessen Eliminierung es dem Arbeitsminister nun geht, wirkt sogar in die entgegengesetzte Richtung. Denn wenn die Zahl der beitragspflichtigen Arbeitnehmer stärker als die Zahl der Rentner steigt, löst der Faktor automatisch einen Zuschlag zu den Rentenerhöhungen aus. Im zurückliegenden Jahrzehnt des Aufschwungs am Arbeitsmarkt stiegen in mehreren Jahren die Renten stärker als die Löhne. Damals haben allerdings weder die SPD im Allgemeinen, noch Hubertus Heil im Besonderen, von einer angeblich unfairen Entkoppelung der Renten von den Löhnen gesprochen.

Der Nachhaltigkeitsfaktor geht sogar auf die rot-grüne Bundesregierung zurück, wobei alle Beteiligten seit Jahren wussten, dass er mit dem Renteneintritt der Babyboomer ein Absinken des Rentenniveaus auslösen würde. Denn umso weiter der Rentenanstieg hinter dem Lohn­anstieg zurückbleibt, umso stärker wirkt dieser Effekt – und zwar unvermeidlich. Das ist einfache Mathematik.

Damals wurde noch argumentiert, dass darin der Solidarbeitrag der Babyboomer zum Lastenausgleich zwischen den Generationen bestehen würde. Die Kinder der Boomer sind ja nicht dafür verantwortlich zu machen, dass in ihrer Generation die Geburtenrate und damit die Zahl der Beitragszahler nur noch halb so hoch ist. Nun ist es genau so gekommen und gerade in dem Moment, in dem der Lastenausgleich seine beabsichtigte Wirkung entfaltet, wird er abgeschafft. 

Natürlich steht es der Politik jederzeit frei, zum Beispiel einen einmal eingeführten Ausgleich zu hinterfragen und die Rentenformel zu ändern. Allerdings wäre sie dann auch gefordert, die langfristige Tragweite ihrer Veränderungen zu ermitteln, verantwortungsvoll zu berücksichtigen und vor allem sachlich richtig zu begründen. Denn die Rahmenbedingungen haben sich in den letzten Jahren nicht grundlegend verändert und der demographische Wandel mit seinen langfristigen und unumkehrbaren Wirkungen ist nicht plötzlich verschwunden.

Das immer wieder vorgebrachte Argument, die Stilllegung des Nachhaltigkeitsfaktors würde nicht zuletzt der künftigen Altersarmut entgegenwirken, ist falsch. Denn der größte Teil der Milliarden für die prozentual stärkeren Rentenerhöhungen fließt an Rentner, deren Bezüge über dem Durchschnitt liegen. 

Und auch das Prinzip Hoffnung beim Thema zusätzlicher, genauer gesagt, zugewanderter Fachkräfte ist keine Rechtfertigung für zusätzliche Rentenerhöhungen, die einer ernsthaften Überprüfung standhält. Hinzu kommt, dass gerade ausländische Fachkräfte es kaum als besonderen Anreiz verstehen werden, mit ihren stärker steigenden Rentenversicherungs-Beiträgen den hiesigen Rentnern höhere Altersbezüge zu finanzieren.

Das neue Rentengesetz zeigt zweierlei: Erstens, wem sich die Sozialpolitik – vor allem die der SPD – vor allem verpflichtet fühlt. Die sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmer sind es jedenfalls nicht. Zweitens, dass der Ampelregierung offensichtlich die Kraft fehlt, Prioritäten zu setzen. Denn ungeachtet ihrer Etatprobleme plant sie eine Rentenreform auf Pump zulasten der künftigen Generationen und verspielt damit das ohnehin gesunkene Vertrauen in die Stabilität des Generationenvertrags.