Kraftwerk Irsching

Nach monatelangem zähen Ringen ist es vollbracht: Die Bundesregierung legte am Montag (05.02.2024) endlich ihre neue Kraftwerks-Strategie vor. Sie wird als eine Grundvoraussetzung dafür betrachtet, dass Deutschland nach der Atomkraft bis zum Jahr 2030 auch aus der Kohleverstromung aussteigen kann. Dies ist „idealerweise“ der Termin, so jedenfalls hat es sich die Ampelkoalition vorgenommen. Bereits 2035, also nur fünf Jahre später, soll die gesamte deutsche Stromerzeugung klimaneutral sein. Doch ohne die Mitwirkung Dritter wird das nicht funktionieren, denn Wind und Sonne stehen bekanntlich nicht immer zuverlässig für die Stromerzeugung zur Verfügung. Folglich werden dann Kraftwerke gebraucht, die unabhängig von den Naturkräften klimaschonend mit Wasserstoff betrieben werden können. 

Dieser Umstand birgt zwei große Probleme: Erstens sind die zum Ausgleich der sogenannten Dunkelflauten unverzichtbaren Kraftwerks-Kapazitäten erheblich. Zweitens sind diese „Lückenfüller“ für die Erzeuger nicht wirtschaftlich zu betreiben, da sie eben nur zu bestimmten Zeiten (nachts, bei Windstille, im Winter- mehr als im Sommerhalbjahr) zur Stromerzeugung eingesetzt werden. Wie sich das rechnen soll, darüber gibt es nun seit Montag zumindest etwas mehr Klarheit.

Das Problem der Anzahl der Kraftwerke bzw. der Menge an installierter Leistung, wird auf den ersten Blick sichtbar. Denn die nun von der Bundesregierung genannten Zahlen sind ganz andere, als die, die im vergangenen Jahr in der Diskussion waren. Seinerzeit war von 50 neuen Kraftwerken mit einer Kapazität von insgesamt 25 Gigawatt die Rede. Dafür wurden Kosten in Höhe von etwa 60 Milliarden Euro geschätzt. Doch der im Ergebnis des Verfassungsgerichtsurteils drastisch verkleinerte Haushalt lässt die Finanzierung solcher Summen kaum mehr zu. 

Vor allem deshalb hat die Regierung ihre Kraftwerksstrategie zweigeteilt: In einem ersten Teilschritt sollen – wie es heißt – kurzfristig Kraftwerkskapazitäten von bis zu 10 Gigawatt ausgeschrieben werden. Diese Kraftwerke sollen zunächst mit Gas betrieben und zwischen 2035 und 2040 auf Wasserstoff umgestellt werden. Dafür will der Bund 16 Milliarden Euro zur Verfügung stellen.

Der zweite Teilschritt soll das Amortisationsproblem lösen, das nicht voll ausgelastete Kraftwerke mit sich bringen. Er besteht im Aufbau eines sogenannten Kapazitätsmarktes bis zum Sommer 2024. Das bedeutet, dass die Bezahlung der Energieversorger dann nicht mehr wie bisher auf Basis der abgenommenen, das heißt, genutzten Strommenge erfolgt, sondern für die von den Kraftwerksbetreibern auf dem Kapazitätsmarkt bereitgestellte Kapazität. Dieser Schritt soll bis 2028 abgeschlossen sein.

Obwohl der Gesamtbetrag der für die Investitionen bereitgestellten Summe mit 16 Milliarden Euro deutlich geringer ausfällt, als ursprünglich angenommen, ist deren Finanzierung keineswegs gesichert. Denn die Mittel sollen aus dem inzwischen berüchtigten Klima- und Transformationsfonds (KTF) kommen, in dem für den aktuellen Wirtschaftsplan bis 2041 für die Kraftwerksstrategie aber nur 7,5 Milliarden Euro an Verpflichtungsermächtigungen enthalten sind. Der fehlende Differenzbetrag von 8,5 Milliarden Euro muss in der weiteren Haushaltplanung zusätzlich aufgetrieben werden. Angesichts dieser Summen dürfte ganz nebenbei die grüne Erzählung, Sonne und Wind würden keine Rechnung schreiben, widerlegt sein.

Eine weitere Frage ist, ob die jetzt geplanten Kapazitäten überhaupt ausreichen werden. Die 10 Gigawatt Kraftwerksleistung, deren Bau nun ausgeschrieben werden soll, sind weniger als die Hälfte des von Fachleuten erwarteten Bedarfs. Der Bundeswirtschaftsminister selbst hatte im vergangenen Jahr noch von mindestens 15 Gigawatt gesprochen. Zusätzlich sollten bis 2028 bereits wasserstoffbasierte Sprinter- sowie Hybridkraftwerke mit einer Kapazität von 8,8 Gigawatt entstehen. Die kommen in der nunmehr vorgelegten Strategie nicht mehr vor. 

Allerdings ist sich wohl auch die Bundesregierung darüber im Klaren, dass die jetzt geplanten 10 Gigawatt nicht ausreichen dürften. Das Bundeswirtschaftsministerium sprach am Montag dann auch von einer „no regret Menge“, die nun schnell realisiert werden soll. Mit anderen Worten, eine Kapazität, deren Bau man unabhängig von der tatsächlichen Entwicklung auf keinen Fall bereuen wird. Doch welche Kapazität am Ende fehlt, ist umstritten. Die Bundesnetzagentur hatte vor zwei Jahren geschätzt, dass bei einem auf 2030 vorgezogenen Kohleausstieg Gaskraftwerke mit einer Kapazität von 17 bis 21 Gigawatt fehlen würden. Michael Lewis, Chef von Uniper, hatte kürzlich sogar von einer Kapazitätslücke von bis zu 25 Gigawatt gesprochen. 

Die ersten Reaktionen der Wirtschaft waren eher skeptisch. Der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Achim Dercks, stellte unmissverständlich klar, dass die Versorgungssicherheit für die Unternehmen nicht verhandelbar sei und „…dass bestehende Kraftwerke erst abgeschaltet werden, wenn neue Anlagen ausreichend und verlässlich am Netz sind.“

Die bis 2030 geplante Abschaltung der Kohlekraftwerke im Rheinischen Revier wird die installierten Kapazitäten der steuerbaren Kraftwerke in den kommenden Jahren spürbar reduzieren. Zusätzlich werden die erwartete Verbreitung von Wärmepumpen und die Neuzulassungen von Elektroautos zusammen mit der ohnehin steigenden Nachfrage der Industrie in den kommenden Jahren absehbar für eine steigende Spitzenlast sorgen.

Ganz nebenbei ist die Bundesregierung von ihrem Fokus auf „grünen“ Wasserstoff jetzt offenbar ganz abgerückt. Dieser aus erneuerbaren Energien hergestellter Wasserstoff wird Fachleuten zufolge im Planungszeitraum knapp und entsprechend teuer werden. Daher soll nun auch die Förderung von Kraftwerken möglich sein, die sogenannten „blauen“ Wasserstoff nutzen. Dieser wird hauptsächlich aus fossilen Energieträgern wie Erdgas hergestellt, wobei das dabei frei werdende CO2 aufgefangen und gespeichert wird.

Auch ohne sich als Beobachter der Weiterentwicklung dieser Kraftwerksstrategie mit seinem Fazit allzu weit aus dem Fenster zu lehnen, kann man wohl prognostizieren, dass in der Frage der Stromerzeugung der näheren Zukunft das letzte Wort damit noch nicht gesprochen ist.