Schild Geschlossen

Obwohl die Zahl der Insolvenzen in der ersten Jahreshälfte im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um etwa 20 Prozent gestiegen ist, beschwichtigen viele Ökonomen und verweisen darauf, dass es im Jahr vor der Corona-Krise, also 2019, oder auch im Verlauf der Bankenkrise 2009 deutlich mehr Insolvenzen gab als jetzt. Man kann also den neuerlichen Anstieg der Insolvenzen durchaus als Rückkehr zum Normalzustand nach dem Ausnahmezustand der Pandemie interpretieren. Da hatte die Regierung Unternehmen in Schwierigkeiten nicht nur vorübergehend von der gesetzlichen Antragspflicht befreit, sondern auch das Füllhorn geöffnet und milliardenschwere Subventionen verteilt.

Löst man sich jedoch von den nüchternen Zahlen – denn in der Wirtschaft im Allgemeinen und an der Börse im Besonderen geht es immer auch um Psychologie – rollt längst eine gefühlte Insolvenzwelle über das Land, die Investoren wie Arbeitnehmer verunsichert. Seit Beginn des Jahres 2023 verging kaum eine Woche, in der nicht irgendein namhaftes Unternehmen einen Insolvenzantrag stellen musste. So ereilte die Zahlungsunfähigkeit renommierte Firmen, wie die Schuhhändler Reno, Görtz und Salamander sowie die Modekette Peek & Cloppenburg. Zu den prominenten Insolvenzen gehört zweifellos auch die des Automobil-Zulieferers Allgaier, mit dessen Sanierungsversuch der ehemalige Arbeitgeberverbandspräsident Dieter Hundt letztlich gescheitert ist.

Ebenfalls einen Insolvenzantrag stellen musste Römertopf, dessen schwere Koch- und Schmorgefäße sich in zahllosen Haushalten finden. Wegen der hohen Energiepreise wurde deren Herstellung schlicht zu teuer. Schließlich konnte auch noch Weck, Namensgeber der traditionellen Einweckgläser, in denen schon unsere Großmütter ihre Vorräte haltbar machten und die eigentlich für Resilienz stehen, die aktuelle Krise nicht mehr bewältigen. Stehen diese prominenten Beispiele pars pro toto für den Anfang des Niedergangs der deutschen Wirtschaft?

Dass mit dem Ende des Baubooms und der Niedrigzinsphase hoch verschuldete Immobilienentwickler reihenweise aufgeben mussten, konnte kaum überraschen. Ebenso war schon länger erwartet worden, dass die zahlreichen „Zombie-Firmen“ endgültig in die Pleite rutschen würden, die sich mit billigen Krediten und Geld vom Staat lange, viel zu lange, über Wasser halten konnten. Zu denken gibt aber, dass es derzeit nicht nur diese Unternehmen trifft, sondern auch solche, deren Geschäftsmodelle lange als erfolgreich galten. 

Mindestens ebenso beunruhigend sind die zahlreichen Insolvenzen von Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern, denn die Gesundheitsbranche galt bisher gemeinhin als krisenresistent. Doch diese Zeiten scheinen ebenfalls vorbei zu sein. Schon lange klagt die Branche über die Folgen einer alternden Gesellschaft und der Rationierung der Krankenkassen-Budgets. Trotz kräftiger Erhöhung des Mindestlohns sind der immer stärker werdende Fachkräftemangel und ein durch die Corona-Pandemie offenbar nachhaltig verändertes Patientenverhalten erschwerend hinzugekommen. 

Die Auslastung von Kliniken auf dem flachen Land oder am Rand der Ballungsräume sinkt in wirtschaftlich problematische Bereiche, unter anderem, weil viele Patienten aus Angst vor Ansteckung nach wie vor den Weg zum Arzt scheuen. Die exorbitant gestiegenen Kosten für Energie, Verbrauchsmaterial und Personal lassen dann mitunter sogar gemeinnützigen Trägern keine Wahl, als Krankenhäuser in die Insolvenz zu schicken. Diese Entwicklungen im Gesundheitssektor haben mit der viel beschworenen Normalisierung des Insolvenz-Geschehens jedenfalls nichts zu tun.

Allerdings muss man den Ökonomen insoweit Recht geben, dass in einer Marktwirtschaft das Verschwinden von Unternehmen, deren Geschäftsmodelle nicht (mehr) tragfähig sind, zur Normalität gehört und dass die dabei entstehenden Lücken Platz für Neues bieten. Die Insolvenz stellt dabei einen praktikablen Weg dar, um erhaltenswerte Teile des Alten, samt der daran hängenden Arbeitsplätze zu retten sowie gleichzeitig wenigstens einen Teil der Gläubiger-Forderungen zu begleichen und dabei den oft langjährig vertrauten Abnehmer zu erhalten. Die positiven Beispiele von Galeria, Görtz oder Peek & Cloppenburg, deren Insolvenzverfahren mit einer erfolgreichen Sanierung beendet werden konnten, machen durchaus Mut und zeigen, dass die vorhandenen Sanierungs-Instrumente funktionieren – wenn sie denn überhaupt eingesetzt werden können.

Natürlich stellt eine Sanierung für Gläubiger, Kunden und Mitarbeiter immer auch eine Zäsur dar. Außerdem erschweren die hohen Energiekosten und der mittlerweile chronische Fachkräftemangel die von den Unternehmen geforderte Klimatransformation in Deutschland in ganz besonderem Maße, wobei fast alle Branchen unter den Belastungen leiden. Daher besteht die reale Gefahr, dass nun nicht nur finanzschwache Unternehmen und überholte Geschäftsmodelle aussortiert werden könnten. 

Mit seiner auf wenig Sachkenntnis schließen lassenden Bemerkung, dass vom Energiepreis-Anstieg betroffene Unternehmen nicht zwingend insolvent wären, sondern nur aufhören würden zu produzieren, hat Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) nicht nur Unternehmen, sondern auch Arbeitnehmer, Kunden und damit letztlich Wähler brüskiert.

Es ist jedoch eine nicht mehr zu übersehende Tatsache, dass viele Unternehmen nicht nur vorübergehend die Produktion zurückfahren, sondern für immer schließen oder das zumindest nicht ausschließen wollen. Neben der Entwicklung der Insolvenzzahlen gilt es also auch, die Betriebsaufgaben und Abwanderungen ins Ausland genau zu beobachten und deren Ursachen zu analysieren. Liegen diese vor allem in unternehmerischen Fehlentscheidungen oder in den wirtschaftlich unattraktiv gewordenen Bedingungen am Standort Deutschland? Handelt es sich also um gesunden und notwendigen Strukturwandel oder großflächigen Niedergang in Form einer Deindustriealisierung? Eine eindeutige Antwort auf diese Frage lässt sich bislang noch nicht geben, der Grat zwischen beiden ist jedenfalls sehr schmal.