Der Bundesadler hält sich die Augen zu.

Wer erinnert sich noch an die Verheißungen im Zuge der Koalitionsverhandlungen? Entfesselung! Aufbruch! Befreiung! Mehr Zukunft wagen! (Wobei ich Letzteres nie verstanden habe. Die Zukunft kommt sowieso, worin sollte also das Wagnis bestehen?) Und was ist von alledem übrig geblieben? Meseberg!

Der geneigte Beobachter dieser in der beschaulichen Mark Brandenburg zum Sitzkreis zusammen gekommenen Selbstfindungsgruppe dürfte schon froh sein, dass überhaupt ein paar Maßnahmen zur Wirtschaftsförderung herauskamen, auch wenn sie sich im Wesentlichen auf steuerliche Kosmetik beschränken. Wer ernsthaft glaubte, jetzt endlich den Auftakt zu einer großen Steuerreform zu erleben, steht im Verdacht, sich nach der Teil-Legalisierung von Cannabis schon mal einen Joint gezogen zu haben.

Das zweite große Thema, für das ebenso wegweisende Beschlüsse angekündigt wurden, der Bürokratieabbau, blieb weitgehend verschwommen und bei den konkreten Maßnahmen kleinteilig. Auch hier setzte die Erwartung eines großen Wurfes ein gewisses Maß an Naivität voraus. Man darf indes gespannt sein, wieviele Prozentpunkte Wachstum die umfassende Entlastung der Wirtschaft durch die Abschaffung der Meldezettel in Hotels bringen wird. Angesichts des stoisch ungebrochenen Eifers, mit dem die Bundesregierung den Unternehmen einen Lieferketten-Moloch aufbürden will, erscheint das geradezu lächerlich.

Die angesichts einer maroden Verkehrs-und Energie-Infrastruktur dringend benötigte Planungsbeschleunigung liegt dagegen weiter auf der ganz langen Bank – und da wird sie wohl auch bleiben. Und das alle anderen Bereiche tangierende Mega-Thema Digitalisierung? Wage Ankündigungen, nicht mehr. Die Verwaltung wird weiter auf Präsenztermine der Bürger setzen, Briefe verschicken und auf das gute alte Fax vertrauen.

Doch all das wird überlagert vom größten Klotz am Bein der deutschen Wirtschaft und der Haushalte, die ruinös hohen Energiepreise, von denen sich Deutschland auf absehbare Zeit wohl nicht wieder verabschieden kann. Kluge und praktikable Ideen, die an den eigentlichen Ursachen für das Übel ansetzen? Fehlanzeige!

Die Politik im Allgemeinen und die deutsche im Besonderen hat bekanntlich eine gewisse Vorliebe für Subventionen, weil sie geeignet sind, die Gemüter der Wähler zu beruhigen und danach alles andere so bleiben kann, wie es ist. Hohe Strompreise durch Zuschüsse für die Industrie zu kompensieren, erspart der selbsternannten Fortschrittskoalition, sich ernsthaft mit Maßnahmen zu beschäftigen, die zu einer angemessenen Senkung des Strompreises für alle führen würden. Die Klimapolitik der Bundesregierung bindet Ressourcen, statt sie freizusetzen. Die Befürchtungen werden lauter, dass Deutschland auf dem Weg der „großen Transformation“ in die große Agonie fällt. 

Weder Mittelstand noch Industrie können aus Meseberg Mut schöpfen. Die Bürger hören sowieso nur noch mit einem Ohr hin. Die Koalition stößt an ihre eigenen Grenzen, die schlicht in den fehlenden Gemeinsamkeiten liegen. Es wird nur das geregelt, worauf sich alle ohne Gesichtsverlust verständigen können. Das ist nicht viel. Der große Rest bleibt liegen. Der ideologisch begründete Fortschrittsglaube der Koalition hat sie in eine missionarische Sozial-, Wirtschafts-, Klima- und Außenpolitik geführt. Aber wie das alles erwirtschaftet und vor allem finanziert werden soll, dazu sagen die Glaubensgrundsätze offenbar nichts.

Im Etatplan für 2024 liegt laut Bundesrechnungshof die tatsächliche Verschuldung, also unter Einbeziehung aller Schattenhaushalte, nicht bei den von der Bundesregierung angegebenen 16,6 Milliarden Euro, sondern bei 85,7 Milliarden Euro und damit fünfmal höher. Der Bundesfinanzminister plant mit einem Haushaltsloch von 15 Milliarden Euro. 

Inzwischen gärt es vernehmlich im Wahlvolk und – das ist im Vergleich zu früheren Krisen neu – noch lauter in der Wirtschaft. Die Geschichte ist reich an Beispielen, bei denen sich die Spannungen, die sich dabei unweigerlich aufbauen, in einem großen Knall entladen haben.

Was bleibt, sind die fast schon kabarettistisch anmutenden Euphemismen des Bundeskanzlers. „Unsere Konjunktur kann noch mehr Wachstum verkraften“ ist sein lapidarer Kommentar zum Nullwachstum, das das Statistische Bundesamt gerade verkündet hat. Bei Scholz’ rasantem „Deutschland-Tempo“ können die Fahrgäste locker nebenher laufen, ohne in Schweiß zu geraten. Und dass sein „grünes Wirtschaftswunder“ durch die Energiewende noch in dieser Legislaturperiode stattfindet, glauben außer ihm selbst wohl nur noch ein paar an der selben Form der Wirklichkeitsstörung leidenden Follower. 

Es ist jedoch nicht so, dass die Bundesregierung auf allen Kompetenzfeldern im Minus liegt, denn in einem Punkt hat sie seit der Bundestagswahl enorm zugelegt: In ihrer Inkompetenzkompensationskompetenz.